Christina Lissmann Vom Chaos zum Kosmos

ARS EX MACHINA

Vom Chaos zum Kosmos

Ein Essay von Christina Lissmann

 

Der 12 teilige geschlossene Bilderzyklus von Konstantino Dregos mit
160 x 200 cm großen Querformaten aus dem Jahr 2013 verweist bereits durch seinen Titel ars ex machina auf die Schnittstelle von Kultur, Technologie und Mensch. Konstantino Dregos nähert sich dem Thema mittels Mixed Media auf Leinwand. Ganz bewusst wählt er die Malerei als sein Medium – gerade im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist das Kunstwerk Dregos ein Unikat.

Die Handschrift, der Duktus und die Komposition lassen in der Aura des Kunstwerkes den Prozess der Produktion spüren und erkennen.
Auf den in unterschiedlichen Blau-Abstufungen gehaltenen Bildgründen erscheinen abstrakte Elemente, die sich teils vom malerischen Untergrund als Kreidezeichnungen abheben und teils einfügen. Neben dynamischen Bögen, geometrischen Figuren erscheinen verwischt, übermalt oder durchgestrichen Notationen als Zeichen einer Denkfigur.

Die von Dregos gewählte Technik der Kreidezeichnung auf malerischem Grund erinnert entfernt zum einen an Cy Twomblys auf der Leinwand verstreute Zeichen einer Metaschrift und zum anderen an Joseph Beuys Unterrichtstafeln aus dem Büro für direkte Demokratie. Anstelle der üblichen schwarzen Tafelfarbe setzt Dregos das Blau des Blueprints ein und

spielt mit der Widersprüchlichkeit in sich: Steht das Blueprint für die Kopie, präsentiert der Künstler sein Werk als Original.

Die Anmutung der Arbeit ist multidimensional – formal wie inhaltlich mehrschichtig mit Tiefenwirkung. Auf den ersten Blick, der Frage nachgehend, was für das Auge unmittelbar erkennbar sei, erinnern die Kompositionen der Kreideskizzen an Notizen für spätere detaillierte Konstruktionszeichnungen oder an den Prozess der Vermittlung von Ideen, dargestellt in abstrakten Schemen, der Visualisierung von komplexen Gedanken zu Konstruktionen. Gleichzeitig wird klar, diese Ideen, die hier notiert zu sein scheinen, wurden erweitert, verbessert, weitergetrieben,: Neues kam hinzu, Altes wurde entfernt, übermalt, verwischt oder verworfen. Die abstrakten Elemente verweisen auf eine technische Zeichnung, auf ein mögliches Künftiges der Ingenieurskunst: sei es ein Motor, eine Maschine, ein Gebäude, eine Turbine oder vieles andere.

Die Möglichkeit der Überführung in einen realen funktionierenden Mechanismus wird in der angedeuteten Notation im Geiste des Betrachters lebendig - spätestens mit dem Blick auf den jeweiligen Titel des Gemäldes. Hier wird der Bezug zu den technischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts durch seine großen Erfinder klar: Keine Geringeren als berühmte Persönlichkeiten wie Enzo Ferrari, Buckminster Fuller, Lamborgini, Mies Van der Rohe, Nikola Tesla, Viktor Kaplan, Alan Turing, Oskar Niemeyer, Felix Wankel, Le Corbusier, Frank Whittle oder Johannes Spiel. Diesen großen Geistern, Erfindern, Architekten, Ingenieuren sieht sich Dregos - getragen von Begeisterung und Respekt - gewissermaßen verpflichtet. Er fühlt mit seinen Helden, studiert ihre Biographien und ihre Errungenschaften, deren Vielzahl hier aufzuzählen, oder gar in Hinblick auf

konkrete, für Dregos inspirierende Einzelprojekte vorzustellen, den Rahmen mehr als sprengen würde.

Der gemeinsame Nenner aller Biografien ist jedoch, dass sie alles andere sind als geradlinige Erfolgsgeschichten: Später als Helden des 20. Jahrhunderts gefeiert, wurden sie zu ihrer Zeit meist verkannt, missverstanden oder angefeindet. Ihre Erfindungen eine Abfolge von Trial and Error. Versuch und Irrtum ist auch das Phänomen, das Dregos mit seiner Serie - und darüberhinaus in seinem Oeuvre - erforscht.

Die großen Erfinder dienen in Ars Ex Machina als gateway, als Zugang zu jener Bewegung, in der große Ideen entstehen. Sein Bilderzyklus gleicht einem Versuch, sich in diese Räume der Geistesaktivitäten hineinzu- versetzen und bildgebend zu interpretieren. In intensiven Studien hat er sich mit den Projekten seiner Vorbilder und Helden auseinandergesetzt, um Grundprinzipien ihrer Vorgehensweise zu erfassen. Konkrete Skizzen dieser Projekte in die Bilder zu heben, war weniger Absicht des Künstlers, vielmehr ging es ihm um die Atmosphäre, die Schwingung des Freiraumes, der dem Schaffensprozess zu Grunde liegt. Nicht unähnlich zum Schaffensakt des Künstlers ist das Gelände des erfinderischen Geistes und der sich manifestierenden Idee Neuland.

Die Erkundungen sind nur einem Freigeist möglich - jenseits von Sicherheit, Wegeleitung oder Regeln. Bereits 1976 plädiert Paul Feyerabend in seinem Werk Erkenntnis für freie Menschen für eine relativistische und anarchistische Wissenschaftstheorie. Seine These ist, dass die Wissenschaftsgeschichte zeige, dass es prinzipiell keine allgemeingültige Methode gebe und Wissenschaft nur unter den Bedingungen des Methodenpluralismus produktiv sein könne.

So versetzt jedes der Werke aus ars ex machina den Betrachter in den Spannungsbogen zwischen den Polen des Erkennenwollens und Unsicherheit, dem Sichtbarem und dem Unsichtbarem, dem vermeintlichen Zeichen ohne Kenntnis des Bezeichneten.

Auch wenn man hier nicht direkt von action painting sprechen kann, so ist die dynamische Ausführung doch ähnlich. Die Geschwindigkeit, in der Ideen, Einfälle sich nach langen mühsamen Prozessen scheinbar wie aus dem Nichts den großen Geistern seiner Wahl offenbarten, wird mittels dynamischer Kreidestriche und malerischem Duktus ins Bild überführt, und die Energie der kraftvollen mutigen Schritte in unwägbares Gelände spürbar. Das Gelingen ist kein gradliniger sondern ein mäandernder und durchaus mit Rückschritten behafteter Weg.

Bereits bevor der Künstler mit der Serie ars ex machina begonnen hatte, faszinierte ihn das Phänomen des Fehlers. Seine Beschäftigung einer künstlerischen Forschung setzte er auch in der nachfolgenden Serie >Lapsus < fort. Welche Wirkung hat der Fehler auf unser Leben, wie gehen wir mit dem Fehler um, welche Wirklichkeit hat der Fehler, welche Einstellung zum Fehler kultiviert ein Wissenschaftler, ein Architekt, ein Erfinder? Wie wichtig ist der Fehler für das Experiment oder den kreativen Prozess allgemein? Die Fehlerminimierung durch die Korrektur als sich perpetuierendes Prinzip ist für Dregos ein überaus lebendiger und spannender Vorgang. Seiner Faszination folgend und aufgeladen mit der Welt des jeweiligen großen Vorbildes, überführt er diesen Prozess in seine Malerei. Sie stellt für ihn eine profunde philosophische Aktivität dar, denn im Bild materialisieren sich sowohl der Denkprozess wie die Idee selbst. Bewusst lässt er Raum für Unbewusstes und Intuition. Als Künstler- philosoph bevorzugt Dregos die Abstraktion, verrät nicht zu viel, jedoch

genug für das Sichtbarwerden eines Leitmotivs: Die Unmöglichkeit der absoluten Perfektion - für die Menschheit eine ewige Sehnsucht und ewige Kränkung zugleich. Die Grenzen des menschlichen Geistes werden um so deutlicher, je tiefer er forscht. Am Ende ersetzt sich der Mensch selbst durch die Maschine. Worin liegt der Fehler? Was fehlt uns?

Allein der Begriff des Fehlers weist auf Fehlendes hin. Fehlendes auf Unvollkommenheit. Unvollkommenheit als Gegenteil von Perfektion. Ein in sich abgeschlossenes System scheint perfekt. Der Wunsch nach Perfektion richtet sich allerdings leider lediglich auf die Optimierung der Funktion. In unserer durchökonomisierten Gesellschaft gilt der Fehler als Versagen. Es fehlt eine Kultur des Fehlermachens. Insofern können der Bilderzyklus Ars ex machina und die danach entstandene Serie Lapsus auf dieser Folie als Gesellschafts-, System- oder Positivismus-Kritik gelesen werden.

Dregos Helden konnten nur deshalb, weil sie sich den Raum für mögliche Fehler geöffnet haben ihr kreatives Potential entfalten. Tüftler wie Tesla waren besessen von Ihrer Idee, nur so konnten sie ihre große Vision verwirklichen. Es gehört zur Geschichte der Technik, dass manche Pläne nicht funktionieren, wenn man sie in die Tat umsetzt. Das kann man einem Erfinder nicht vorwerfen – es ist eher eine besondere Stärke, den großen Wurf immer wieder zu versuchen, auch wenn man schon viele Niederlagen einstecken musste.

Die Hartnäckigkeit, jahrelang eine Problemlösung zu verfolgen, zeichnete auch Leonardo da Vinci aus, den Dregos vielleicht noch mehr als seine 12 Helden der ars ex machina –Serie als Inspirator seiner Geisteshaltung sieht: Alle Professionen und Talente sind in diesem multitalentierten Renaissancemenschen vereint.

Ohne Trial and Error keine Entwicklung. Voraussetzung ist eine Haltung von Gelassenheit gegenüber der Möglichkeit des temporären Scheiterns als Zwilling des Erfolgs. Scheitern-können ist die Voraussetzung für ein Gelingen. Durch die Technisierung aller Lebensbereiche und der Digitalisierung wird heute der Mensch gefordert, fehlerlos zu funktionieren. Sein Wettbewerber ist die Maschine. Das neoliberale System mit seinen Forderungen nach Fehlerlosigkeit hat uns zu selbst-überwachenden und – beurteilenden Systemen gemacht. Die Strategien der Perfektionierung nach äußeren Erfolgskriterien haben wir bereits verinnerlicht. Fehler können wir uns weder erlauben noch verzeihen.

Deus ex machina bezeichnet heute jene Unfähigkeit eines Autoren, eine Handlung mit kontinuierlich logischen Zusammenhängen zu schaffen. Dregos ersetzt den Begriff deus, lat. Gott, durch ars, lat.: Kunst. Jene Unfähigkeit zur Erschaffung kontinuierlich logischer Zusammenhänge thematisiert Dregos als disruptive Fragestellung nach einer möglichen Überschätzung derselben. Mit Nietzsche könnte man sagen: “Man muss noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können.” Die Bilder-Serie ars ex machina mit ihren geometrischen und skripturalen Elementen, Zahlen, Zeichen, Linien und malerischen teils transparenten Farbaufträgen auf pastosen blauen Untergründen bezaubert durch ihre poetische Visualisierung der Bewegung des menschlichen Geistes als Hommage an die großen Erfinder des 20. Jahrhunderts und repräsentiert auf besondere Weise Konstantino Dregos einzigartigen Kosmos.

 

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